VEREINSMITGLIEDSCHAFT     POLITIK     ︎︎︎
AKTUELLES


︎



Liebe Freund*innen des Rutfront Fastelovendsbunds, liebe Jeck*innen.

In den vergangenen Tagen haben uns viele Anfragen zum karnevalspolitischen Wesen unseres jungen Vereins erreicht, für die wir uns ganz herzlich bei Euch bedanken möchten. Wir diskutieren, beleuchten und erforschen zahlreiche Aspekte des Kölner Karnevals – offen, wertschätzend und bisweilen kritisch. Die (selbst-)kritische Auseinandersetzung mit unserem Brauchtum in Vergangenheit und Gegenwart ist für uns ein ganz wesentlicher Aspekt dessen, was wir unter Brauchtumspflege verstehen. Wir messen ihr auch im Vereinsleben daher eine besonders große Bedeutung bei.

Da wir ein sehr junger Verein sind und gewissermaßen noch in der Findungsphase stecken, können wir Euch an dieser Stelle kein geschlossenes Grundsatzpapier oder Manifest der Rutfront an die Hand geben. Wir begreifen uns als einen dynamischen und inklusiven Verein und wollen immer zum offenen Diskurs und zur Beteiligung einladen. Wir werden, wenn man so will, unsere Findungsphase nie vollkommen abschließen. Das heißt nicht, dass wir nicht zu einem späteren Zeitpunkt auch eine gefestigte und von allen Mitgliedern des Vereins getragene Position verabschieden werden. Es heißt vielmehr, dass wir Euch an dieser Stelle ganz herzlich dazu einladen wollen, Euch uns anzuschließen und Euch an unserem Vereinsleben zu beteiligen.

Daher haben wir uns entschlossen, ein vorläufiges, in Teilen noch skizzenhaftes Diskussionspapier zu veröffentlichen, das Euch Eindrücke davon geben soll, welche karnevalspolitischen Auseinandersetzungen wir beispielhaft pflegen möchten. Wir freuen uns auf eure Beteiligung!

RFB Politkomitee, Köln, Aschermittwoch 2021.




“WO SICH ALLE MENSCHEN GLEICH, DA NUR IST DAS NARRENREICH.“

(Die Eisenritter / Franz Raveaux, 1842)

Der Rutfront Fastelovendsbund versteht sich als eine traditionelle Karnevalsgesellschaft, die sich aktiv und gestalterisch in den brauchtümlichen, dem Gemeinwohl dienenden Kölner Karneval einbringt und in besonderem Maße dazu beiträgt, dass dieser seiner gesellschaftlichen und sozialen Verantwortung nachkommt. Aus der besonderen gesellschaftlichen Stellung des Kölner Karnevals, seinem ganzjährigen Einfluss auf die Kölner Stadtgesellschaft und dem brauchtümlich geschützten Raum besonderer Freizügigkeit in den festlichen Zusammenkünften all seiner Teilnehmenden während der gesamten Session erwächst auch eine große gesellschaftliche Verantwortung für seine Akteur*innen.

Die Mitglieder des Bundes begreifen es insbesondere als eine wichtige Aufgabe im Sinne der Pflege unseres Brauchtums, den Karneval klar gegen faschistische, rassistische, sexistische, antisemitische und andere menschenfeindliche, diskriminierende und dem Geist des Karnevals entgegenstehende Einflüsse abzugrenzen. Der Bund wahrt hierbei und hierdurch sowohl seine eigene als auch die politische und weltanschauliche Neutralität und geistige Offenheit des Kölner Karnevals sowie der kölschen Eigenart im Allgemeinen.
Es gibt Werte, die uns im Karneval miteinander vereinen. Dazu zählen unsere Geschwisterlichkeit, die vorbehaltlose Inklusion und unser solidarischer Zusammenhalt mit Menschen, von denen wir einzig wissen, dass sie diese Werte mit uns teilen. Der Karneval lebt davon, dass wir diese Werte nicht miteinander besprechen müssen, sondern miteinander leben und allenfalls gemeinsam besingen. Er ist gelebter Ausdruck und zugleich Symbol dessen, was uns als Gesellschaft im Innersten zusammenhält. Seine große gesellschaftliche Bedeutung besteht darin, dass er uns ganzjährig an diese Werte erinnert und aufzeigt, worauf es bei unserem gesellschaftlichen Handeln ankommen sollte. Dieser starke Einfluss trägt im Übrigen ganz wesentlich dazu bei, dass Köln für uns und unsere Freund*innen eine besonders lebenswerte Stadt ist.







DIE DEMOKRATISIERUNG DES INSTITUTIONELLEN KARNEVALS


Wir sind davon überzeugt, dass sich die vorgenannte Bedeutung des Kölner Karnevals in all seinen Epochen und Brauchtümern darstellen lässt. Mehr noch: Sie mag seit jeher das historische und kulturelle Bindeglied zwischen den vielen unterschiedlichen Brauchtümern sein, auf die wir den modernen Kölner Karneval zurückführen können. Von römischen Saturnalien, hellenistisch- orientalischen Mysterienkulten, bis hin zu heidnischen Mummereien und Germanenkulten – aufwändige und ausgelassene Feste und Maskeraden hatten in Köln schon immer eine besonders große gesellschaftliche und kulturelle Bedeutung.

Spätestens seit den Fastnachtsumzügen der mittelalterlichen Gaffeln stellt sich der Kölner Karneval auch ganz ausdrücklich im Bewusstsein seiner obengenannten Werte dar und behauptet sich gegen alle Verbote, Widrigkeiten, Ausschlüsse und Verwehrungen durch Obrigkeiten. Spöttische Maskeraden auf geistlichen Figuralprozessionen, die herben und herrschaftskritischen Bandenumzüge der Handwerksgesellen und Studenten in der frühen Neuzeit, das vielfältige Wirtshaustreiben des vierten Standes und die mittelständischen Kleinstumzüge während der elitären Fastnachts–Lustbarkeiten der kölnischen Redouten–Gesellschaften und Männerbünde in der französischen Herrschaftszeit zeigen auf, dass wir Kölner:innen uns den Karneval niemals haben nehmen lassen und einander immer darin mitgenommen haben. 
Seit der preußisch verordneten Institutionalisierung des Kölner Karnevals durch das festordnende Komitee 1823 schreibt sich der etablierte Karneval der Eliten der kölnischen Stadtgesellschaft auch selbst die Verspottung von Obrigkeiten und die Besinnung auf gesellschaftliche Inklusion und solidarischen Zusammenhalt auf die Fahnen. Doch es waren und bleiben die Kölner:innen selbst – in den Veedeln, auf den Straßen, in den Wirtshäusern und Festsälen, am Fastelovend wie im Alltag und bei der Arbeit, die diese Werte leben und definieren.

Der Protest der Eisenritter gegen die Verschlossenheit und Unzugänglichkeit der elitären Großen Karnevalsgesellschaft, die erste Generalversammlung der weiblichen Carnevals-Freundinnen 1843, die karnevals- politischen Veröffentlichungen in der Rheinischen Zeitung und später in der Neuen Rheinischen Zeitung, schließlich die Gründung der Allgemeinen Carnevals-Gesellschaft um Franz Raveaux waren der Startschuss für die Demokratisierung der Institutionen des Kölner Karnevals, zu deren Fortschritt auch wir heute beitragen wollen.






ANTIFASCHISMUS UND DER SCHUTZ DES KÖLNER KARNEVALS VOR RECHTEM GEDANKENGUT


Jedoch zeigt der Blick auf die Zeit des Nationalsozialismus eindrücklich auf, dass die eingangs erwähnte Bedeutung des Kölner Karnevals auch verloren gehen und gar ins Gegenteil verkehrt werden kann.

Schon vor der nationalsozialistischen Herrschaft ab 1933 waren führende Karnevalisten Mitglieder in der NSDAP. Thomas Liessem, seit 1929 Präsident der Ehrengarde, und Carl Umbreit, Zugleiter des Rosenmontagszugs, waren bereits 1932 der Partei beigetreten. Seit 1926 fanden sich im offiziellen Organ des Festkomitees Texte, in denen Karnevalisten die Weimarer Republik, den Völkerbund und die Demokratie im Allgemeinen verhöhnten. Jüdische Mitglieder wurden bereits 1933 von den Vereinslisten gestrichen, der sowieso schon grassierende Antisemitismus des Kölner Karnevals dieser Zeit wurde immer konkreter umgesetzt. Völkisch-nationalistisches Denken wurde also im vom Bürgertum organisierten Kölner Karneval auch vor 1933 bereits ausgedrückt und reproduziert. Der erste offen antisemitische Motivwagen im Rosenmontagszug des Jahres 1934 war kein Produkt der nationalsozialistischen Gleichschaltung, sondern wurde von den Kölner*innen selbst gebaut und fahren gelassen.

Die bedeutende Rolle des Karnevals im Leben der Menschen war den nationalsozialistischen Machthabern bewusst. Die Integrationskraft des Karnevals war wichtig für Vermittlung und Befriedung und leistete somit eine wichtige politische Arbeit für die Nationalsozialisten. Im Gegenzug profitierte das im organisierten Karneval agierende Bürgertum, indem es durch die NS-Herrschaft seine stadtpolitische und wirtschaftliche Vormachtstellung ausbauen konnte. Hierfür wurden verschiedene Traditionen zugunsten der nationalsozialistischen Ideologie bereitwillig aufgekündigt. Die seit über 100 Jahren von Männern verkörperten Funkemariechen wurden durch Frauen ersetzt, auch die Jungfrau aus dem Dreigestirn musste von einer biologischen Frau gespielt werden. Ab der Session 1934/35 wurden verschiedene Sitzungen mit dem Singen der ersten Strophe des Deutschlandlieds und des Horst-Wessel-Liedes mit erhobenem Arm eröffnet.

1935 wehrten sich die Kölner Karnevalspräsidenten gegen eine weitreichende organisatorische Gleichschaltung des Karnevals durch eine neue, NS-kontrollierte Organisation. Dieser Vorgang wird oft als “Narrenrevolte” bezeichnet und mystifiziert. Treibende Kraft dieser “Revolte” war jedoch die Befürchtung, dass der Geschäftskarneval aufgelöst werden sollte. Man sprach von einer “Planwirtschaft”, die dem Wesen des Karnevals nicht entspreche. Es ging um Gewinne, die die führenden Personen des Karnevals machten und um die sie fürchteten; so war zum Beispiel Liessem als Getränkegroßhändler in seinem Eigeninteresse tangiert. Die vermittelnde Instanz des Karnevals zwischen Machthabern und Kölner*innen machte die Karnevalsoberen auch vor den Nazis so mächtig, dass Gauleiter Josef Grohé schlichtend in den Konflikt einschritt. Er schlug die Gründung des “Festkomitees Kölner Karneval” vor, dessen Vorsitz Liessem bis zum Ende des Krieges innehielt.

Büttenredner und Krätzchensänger wie Willi Ostermann oder Karl Berbuer beteiligten sich an antisemitischen Hetzkampagnen. Ab 1936 wurden auch kriegstreiberische Töne lauter, die Wiederbewaffnung des deutschen Reiches wurde im Gürzenich auf Stühlen besungen. Die NS-Organisationen wurden immer stärker in den Karneval eingegliedert und vice versa. Sie halfen beim Bau der Karnevalswagen, stellten Musikgruppen und marschierten mit. Sie legten die Mottos für die Rosenmontagszüge fest und planten Karnevalsveranstaltungen. Der Beginn des Krieges bedeutete schließlich das Verbot öffentlicher Karnevalsveranstaltungen und die Karnevalsgesellschaften feierten von nun an privat weiter. Karnevalsredner und Krätzchensänger wurden vermehrt zur Truppenbetreuung eingesetzt.

Einer der wenigen etablierten Akteure des Kölner Karnevals, der inhaltlichen Widerstand gegen die Nationalsozialisten leistete, war der Büttenredner Karl Küpper. Zu Beginn der Nazizeit war er der bekannteste und bestbezahlte Karnevalist Kölns und trat sowohl im organisierten bürgerlichen Karneval als auch ohne Gage in karitativen Einrichtungen auf. Durch Gewalt und Drohungen der Gestapo ließ er sich nicht einschüchtern. Sie nahmen ihn fest, ließen ihn aber wieder frei, als der öffentliche Druck zu groß wurde. Indem er die Autorität der Nationalsozialisten auf der Bühne fortwährend untergrub, zeigte sich, dass eine kritische Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus möglich war. Im Zuge der im Vorfeld des Zweiten Weltkrieges einsetzenden Verstärkung von Verfolgung nonkonformistischer Verhaltensweisen wurde er dann mit einem Redeverbot belegt. Karnevalistischen Widerstand gegen das NS- Regime leisteten neben Küpper allein Kommunisten, Sozialdemokraten und progressive Künstler und Schriftsteller aus dem Exil. Sie nutzten Tarnschriften und andere Publikationsformen, um mit den Mitteln des karnevalistischen Humors, wie auch durch Aufklärung über die Instrumentalisierung des Karnevals, den Unrechtscharakter des NS-Herrschaftsapparates und die Kriegsgefahr darzustellen.

Thomas Liessem blieb bis 1963 in leitenden Positionen des Kölner Karnevals und schaffte es, 1952 ein erneutes faktisches Redeverbot gegen Karl Küpper zu verhängen, auch mit der Unterstützung Konrad Adenauers. Küpper hatte darauf aufmerksam gemacht, dass auch nach Ende der NS-Herrschaft eine Gefahr der Einflussnahme alter Eliten auf die Inhalte des Karnevals bestand und dass viele Nationalsozialisten noch immer, oder wieder, hohe Ämter im Karneval bekleideten.

In der Betrachtung der NS-Zeit zeigt sich, dass, und wie, die Bedeutung des Karnevals auch ins Gegenteil verkehrt werden kann. Wir begreifen es als einen ganz zentralen Aspekt der Brauchtumspflege, dies nicht und nie wieder zuzulassen. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe und Verantwortung, den Karneval vor dem Einfluss menschenfeindlicher und diskriminierender Ideologien zu schützen.






ANTIRASSISMUS

Der strukturelle Rassismus, der sich durch alle Lebensbereiche zieht, hat auch im Karneval eine lange Tradition. Menschen, die außerhalb der Session Rassismus erfahren, erfahren ihn auch im Karneval. Viele von vornehmend weißen Personen getragene Kostüme stellen BiPoC, Sinti*zze und Rom*nja und andere marginalisierte Gruppen dar. Die Träger*innen legen sich tageweise Identitäten diskriminierter Menschen zu und verletzen damit diejenigen, die sie darstellen. Nicht nur im privaten Bereich, sondern auch in Karnevalsvereinen werden immer noch rassistische Kostüme getragen und Narrative verbreitet. Ganze Vereine ziehen mit Blackface durch die Straßen, reproduzieren damit koloniale Erzählungen und verharmlosen die Realität diskriminierter Menschen.

BiPoC sind im organisierten Karneval stark unterrepräsentiert. Große Karnevalsgesellschaften sind männlich und weiß dominiert. Auch das ist ein Ausdruck rassistischer Gesellschaftsstrukturen. Der Rutfront Fastelovendsbund positioniert sich klar antirassistisch, will rassistische Strukturen aufzeigen und sich dafür einsetzen, diese aufzubrechen, um einen inklusiven und für alle zugänglichen Karneval zu schaffen.


Als wir uns im Sommer 2020 gegründet haben, geschah dies auch unter dem Eindruck des rassistischen Terroranschlags in Hanau am 19. Februar 2020. Dass es für die Überlebenden, Hinterbliebenen und all diejenigen, die bis heute mit den Folgen des Anschlags zu kämpfen haben, nichts Unwichtigeres gibt, als den Karneval, können wir nachvollziehen. Trotzdem ist es uns ein wichtiges Anliegen zu zeigen, dass wir nicht hier sind um zu feiern während andere trauern, sondern den Schmerz teilen, uns solidarisch zeigen, jeden Tag, das ganze Jahr. Wir verfolgen die Diskussionen zum Gedenken und dem Protest im Bezug auf Hanau darum sehr intensiv. Es ist nicht leicht, unsere komplexen Gedanken und Emotionen dazu zu bündeln und in Worte zu fassen. 

Fest steht: Wir wollen handeln. Wir werden in jeglicher Hinsicht und wo wir können dem Kampf um Aufklärung, Konsequenzen und Gerechtigkeit zur Seite stehen. Wir wollen laut und entschlossen darauf aufmerksam machen, wofür im Karneval auch Raum sein sollte, und wir Raum schaffen wollen.


Wenn behördlich bekannte Rassisten legal Waffen besitzen dürfen, wenn Notausgänge verschlossen werden, damit junge Menschen bei Razzien einfacher erkennungsdienstlich behandelt werden können, wenn Bedrohungen und Pamphlete wochenlang online einsehbar sind, aber von den verantwortlichen Stellen ignoriert oder nicht ernst genommen werden, und wenn nach dem schlimmsten rechten Terroranschlag der deutschen Nachkriegsgeschichte immer noch nichts passiert –, dann zeigen sich in dieser Kette des Versagens alle Versäumnisse der letzten Jahrzehnte, strukturelle Diskrimierung anzuerkennen und diese abzuschaffen.
Dieser gesellschaftlich tief verwurzelte, strukturelle Rassismus ist überall in Deutschland spür- und sichtbar, so auch im Kölner Karneval. Wir wollen uns deshalb auch diesen Fragen widmen: Wer wird im Kölner Karneval mitgedacht, wer nicht? Wer sind »wir« und wer wollen und können »wir« sein? Aber auch ganz konkret, welche Möglichkeiten haben wir als Verein, Zusammenschlüsse wie die Initiative 19. Februar Hanau finanziell und infrastrukturell zu unterstützen. Der Rutfront Fastelovendsbund setzt sich ein für einen solidarischen, antirassistischen Karneval, in dem W I R gemeinsam feiern, gemeinsam demonstrieren und Gerechtigkeit fordern, aber auch gemeinsam trauern können. 

In der Nachkriegszeit wurde die Geschichte des Karnevals im Nationalsozialismus oft verdreht oder vertuscht. Eine wahrheitsgetreue Geschichtserzählung war unerwünscht und die Lüge, dass sich die Kölner Karnevalist*innen, ähnlich wie Großteile der Gesellschaft, gegen das NS-Regime gewehrt haben, fand Verbreitung. Der Kölner Karneval schreibt sich eine historisch-politische Haltung in der Verspottung der Obrigkeit und ein solidarisches Miteinander auf die Fahnen. Im starken Kontrast dazu steht die eigene Geschichte der Unterstützung des NS-Regimes. Verschiedene Akteur*innen des Kölner Karnevals arbeiten bereits zusammen mit Historiker*innen ihre Geschichte während der NS-Zeit auf. Das begrüßen wir sehr und hoffen umso mehr, dass unsere Bemühungen auf fruchtbaren Boden fallen.

Leider werden rechtsradikale Positionen heute nicht konsequent aus dem Karneval ausgeschlossen. Menschenfeinde wie Sven Tritschler finden sich in den prestigeträchtigsten Institutionen des Kölner Karnevals, Ralf Höcker war 2020 geladener Gast auf der Karnevalssitzung vom 1. FC Köln. Als besonders bösartig bewerten wir den Versuch der AfD, mit einem Antrag im Kölner Stadtrat eine Ehrung Karl Küppers zu fordern und so das Gedenken an Karl Küpper für sich zu vereinnahmen und sich in einer Verdrehung der Geschichte als Verteidigerin der Meinungsfreiheit in seiner Tradition zu behaupten.

Nicht nur rechte Akteur*innen sind im Kölner Karneval aktiv, auch rechtes Gedankengut wird seit dem weltweiten Aufschwung von Rechtspopulismus und Faschismus wieder offener vorgetragen. Das zeigt sich zum Beispiel, wenn die Gedenkveranstaltung am Karnevalsfreitag 2020 für die Opfer des Anschlags von Hanau von kostümierten Passanten mit rechten Parolen überzogen wird.

Eine klare Distanzierung von rechten Personen und rechtem Gedankengut, eine ehrliche Aufklärung der Vergangenheit sowie ein Verantwortungsbewusstsein für Geschichte und Gesellschaft ist für uns in unserer antifaschistischen Haltung und geschichtlichen Verantwortung verwurzelt und ein unabdingbarer Teil unserer Identität.







FEMINISMUS

Der Grundsatz solidarischer Gemeinschaft gilt natürlich ebenso für den Kampf um die Gleichberechtigung von Frauen und als weiblich gelesene Personen. Im deutschen Grundgesetz (Artikel 3, Absatz 2) ist die Gleichberechtigung von Frauen und Männern verankert. Es gibt Schritte in Richtung Gleichberechtigung, wie das Wahlrecht (1918), das Recht auf die Eröffnung eines eigenen Bankkontos (1962) und jüngst, 2016, die juristische Belangbarkeit sexueller Belästigung mit körperlicher Berührung. Aber viele Lebensbereiche bleiben noch unangetastet von diesem vermeintlichen Grundsatz. Frauenfeindlichkeit, die die strukturelle Entwertung oder Benachteiligung von Weiblichkeit definiert und Sexismus, der die Diskriminierung, Abwertung, Benachteiligung und Herabwürdigung eines Menschen aufgrund des (zugeschriebenen) Geschlechts bezeichnet, ist im Kölner Karneval noch immer weitestgehend vorherrschend.

Karneval ist ein Ausnahmezustand, soll für Enthemmung stehen und auch so wirken, ein Ventil und eine von Konventionen befreite Zeit sein. Allerdings werden im Karneval nicht nur soziale Normen bewusst ignoriert, sondern ironischerweise auch rigide an ihnen festgehalten, beispielsweise an konventionellen Geschlechterrollen. Im Karneval spielen Genderzuschreibungen eine immens große Rolle. Attribute, die man Frauen und Männern zuordnet, werden vorgeführt und parodiert. Ob in Büttenreden, vermeintlich komödiantischen Auftritten in Sitzungen, oder im Straßenkarneval: Frauenfeindliche Klischees und sexistische Witze sind tief verwurzelt. In hohen Positionen des Kölner Karnevals dürfen Frauen meist nur Hilfstätigkeiten übernehmen und gelten noch an vielen Stellen als „schmückendes Beiwerk“. Frauen dürfen tanzen und sind als Marketenderinnen zugelassen, die Domäne der Büttenredner mit bisweilen oft offen sexistischen Inhalten ist aber klar männlich dominiert. Vorstände weisen, milde ausgedrückt, androkratische Strukturen auf. In den vergangenen Jahren kam es zu vereinzelten Lichtblicken. 1999 wurde die Kölner Karnevalsgesellschaft Colombina Colonia gegründet, die erste reine Frauen-Gesellschaft. Alsbald nach Gründung wurde sie Mitglied im Festkomitee Kölner Karneval. Nur 19% der mehr als 100 Karnevalsgesellschaften und Vereine, die im Festkomitee organisiert sind, akzeptieren Frauen im Vorstand. Die großen neun, allesamt vor 1926 gegründeten Karnevalsgesellschaften, sogenannte ‚Traditionscorps‘ – eine Ehrenbezeichnung des Festkomitees – bestehen ausschließlich aus Männern. 

Seit 2014 existiert die 1. Damengarde Coeln 2014 e.V., die mehr oder minder aus dem Wunsch der Gründungspräsidentin entsprang, in Uniform auf einer Bühne im Kölner Karneval zu stehen. Vorher war ihr das nicht möglich, denn Frauen haben keinerlei Chance einem dieser Corps beizutreten. Ein Großteil der zumeist schon im 19. Jahrhundert gegründeten Kölner Gesellschaften und Vereine wollen das unter dem Deckmäntelchen des Brauchtums auch so belassen. Bei der Entwicklung der Besetzung von Funkemariechen, die bis in die Zeiten des Nationalsozialismus nur vereinzelt von Frauen dargestellt wurden, behielt man auch nach dem zweiten Weltkrieg Frauen als Tänzerinnen. Das gefiel dem vermeintlich männlichen Publikum besser. Die Einhaltung von Tradition und Brauchtum wird also nur selektiv eingehalten und erweist sich als Scheinargument.
Auch der Elferrat, der aus einem Sitzungsleiter und zehn weiteren Karnevalisten besteht, die, auf Sitzungen an prominenter Stelle platziert, schunkelnd und klatschend mitfeiern, war bis in die jüngste Vergangenheit immer von elf Männern besetzt. Erstmals 2020 war der Elferrat in der prestigeträchtigen WDR-TV-Sitzung mit fünf Frauen besetzt. Ein vergleichsweise großer Schritt.

Trotzdem bleibt der patriarchale Charakter des Kölner Karnevals in vielen Aspekten erhalten. Tradition und Brauchtum sind immer wieder die vorgebrachten Argumente dafür. Und das obwohl das hierzulande größte aller Volksfeste so viel Potential birgt. Da der Fastelovend mit kollektiver Enthemmtheit einhergeht, kann frei von Wertung mit den gewohnten, erlernten sozialen Gendernormen gebrochen werden. Frauen sowie Männer können durch Kostümierung in andere Geschlechterrollen (Cross-Dressing) schlüpfen. Fastelovend hat also das Potential, Gendernormen aufzubrechen und sogar zu überwinden.

Wir als Rutfront Fastelovendsbund bekennen uns ohne Vorbehalte zum intersektionalen Feminismus und machen uns zur Aufgabe, für dieses Thema zu sensibilisieren. Wir fordern Gender Diversity und keinen Ausschluss aufgrund des Geschlechts auf jeglichen Positionen, nicht nur in den hohen Ämtern des Kölner Karnevals.





AUSBLICK

Wie eingangs beschrieben, sind wir ein Verein, der zwar in mancherlei Hinsicht bereits gefestigte Positionen vertritt, sich jedoch in vielen Punkten in einem Prozess der Selbstfindung befindet, den wir auch stetig weiterführen werden.

Mit einigen Themen, die uns auf der Seele brennen, werden wir uns erst in den nächsten Wochen und Monaten intensiv beschäftigen können. Dazu gehören der Antisemitismus im zeitgenössischen Karneval, der Karneval im Hinblick auf die Klassengesellschaft, Gender Diversity im Karneval, die oft beklagte Verrohung, aber auch die fortschreitende Kommerzialisierung des Karnevals, der “alternative” Karneval, oder die historischen Themen des Karnevals in der deutschen Kolonialzeit und des jüdischen und nicht-jüdischen Karnevals im Exil zur Zeit des Naziregimes – Themen, die bis heute auf den Kölner Karneval nachwirken und aus denen sich sicherlich Implikationen für das Hier und Jetzt ableiten lassen werden. Die Liste ist nicht vollständig und wird es nicht werden.


“ALLES HÄT SING ZICK”

– wie das Motto für die kommende Session lautet.


Für einen gelebten, offenherzigen und progressiven Karneval ist die Diskussion hiermit eröffnet.